Die Anschuldigung
22. Januar 2005
Mir war von Anfang an klar, dass da was faul ist. Die Kacke musste schon
ordentlich am Dampfen sein, wenn der DFB ein einzelnes Mitglied (hier: R. Hoyzer)
einer von Natur aus unter besonderer Beobachtung stehenden Gilde (hier: das
Schiedsrichterwesen) öffentlich an den Pranger stellt. Und das ist nicht
untertrieben, denn das mediale Spießrutenlaufen ließ nicht lange auf sich
warten, so dass für den durchschnittlichen TV- und Printkonsumenten die
Unschuldsvermutung nicht mehr greifen konnte.
Robert Hoyzer, der schon als 25-Jähriger Zweitliga- und DFB-Pokalspiele leitete,
wird vorgeworfen, sechs von ihm geleitete Spiele durch Fehlentscheidungen
manipuliert zu haben. Das Hauptaugenmerk gilt der Erstrundenpartie des
DFB-Pokals SC Paderborn – Hamburger SV, die 4:2 ausging. Zwei höchst umstrittene
Elfmeter für die Gastgeber und eine rote Karte für die Hamburger ließen die
Paarung schon damals in besonderem Licht erscheinen. Es seien ungewöhnlich hohe
Summen auf einen Paderborner Sieg im Berliner Raum gesetzt worden.
Auch ich war sofort von der Schuld Hoyzers überzeugt, obwohl ich die Sache
vergleichsweise objektiv sehen konnte. Freilich nicht so objektiv wie jemand,
der mit Fußball im speziellen oder gar Sport im allgemeinen nichts zu tun hat,
aber doch objektiver als ich selbst beim letzten großen Skandal des deutschen
Fußballs sein konnte. Schauplätze waren im Jahre 2000 nicht die Schlafzimmer der
Bayernbosse, sondern die Nase des Christoph Daum, der sich anschickte
Bundestrainer zu werden. Ich war natürlich bis zuletzt von der "Unschuld" des
bis dahin größten Leverkusener Trainers überzeugt. Aber wer wird schon Koksen
und das Verschieben von Spielen vergleichen? Das sind zwei verschiedene Paar
Stiefel, aber dieses Beispiel lehrt und warnt, wohin Voreingenommenheit führen
kann. Wenn ich annähme, Herr Hoyzer wäre Mitglied beim Bayer, würde ich dann
anders bewerten? Hoyzer ist Mitglied beim Berliner Sportclub, doch im Hause der
Hertha dürften einige Zimmer zwischen der Lizenzspieler- und der
Schiedsrichterabteilung liegen. Gar mehrere Stockwerke?
Das Dementi
25. Januar 2005
Wie groß die Distanz auch sein mag, für Axel Kruse war sie wohl nicht groß
genug. Das mutmaßliche Hertha-Mitglied Kruse bekam am Tag 3 nach der
DFB-Mitteilung Gelegenheit für ein Exklusiv-Interview mit Hoyzer in dessen
Steglitzer Wohnung. Kruse, der in seiner neuen Funktion als "Journalist" für TV
Berlin auch schon mal Dinge am Arbeitsplatz verschwinden lässt, machte einen auf
Kumpel und stellte allerlei private Fragen, auf die er rührselige Antworten
erhielt.
"Robert, wie gehts dir momentan?"
"Man kann sich vorstellen, dass ..." (blafasel, der Autor)
"Hast du auf von dir geleitete Spiele gewettet, Robert?"
"Nein, das habe ich nicht." (Natürlich nicht, Axel, schon mal was von
Strohmännern gehört?, der Autor)
"Kannst du dir in der momentanen Situation vorstellen, ganz normal weiter zu
studieren?"
Das nenne ich investigativen Journalismus à la Ulrich Meyer. Eine Krähe hackt
der anderen kein Auge aus.
Das Geständnis Teil 1
27. Januar 2005
Am fünften Tag tat Hoyzer sich und seinen Anwälten einen großen Gefallen und
gestand, dass die Vorwürfe "im Kern zutreffen". Keine Haaranalyse, kein
doppelter Boden. Aber Hoyzer bietet sich als Kronzeuge an, will im größten
Bundesligaskandal seit den 70er Jahren komplett auspacken, andere Schiedsrichter
und auch Spieler seien verwickelt. Er selbst habe um "fünfstellige Beträge"
profitiert. Hoffentlich haben ihm seine Strohmänner was zurückgelegt. Es ist von
einer kroatischen Wettmafia die Rede, die sich in einem Berliner Wettbüro
organisiert hat.
Die Fehlentscheidung an sich
Die Fehlentscheidung an sich ist so alt wie der Fußball selbst. Das
Wembley-Tor war nach Meinung der meisten Experten keins. Trotzdem hat der
gemeine Fan und auch der Aktive gelernt, mit Fehlentscheidungen umzugehen. Sie
passieren tagtäglich. Kein Bundesligawochenende, an dem keinem regulären Tor die
Anerkennung verweigert wird oder der Schütze eines irregulären Treffers in den
Spielberichtsbogen eingetragen wird. Oft genug spielentscheidende Tore. Und
gelbe Karten, die eigentlich rote sind! Fehlentscheidungen gleichen sich aus,
heißt es. Über einen genügend großen Zeitraum mag das ja zutreffen. Aber was
zählt ist jetzt und nicht irgendwann. Wie lange soll ich denn noch auf eine
Leverkusener Meisterschaft warten, die mir 2002 von den Unparteiischen verwährt
wurde? Im Schlussspurt der Saison 2004 wurde die Meisterschaft auch von den
Herren in schwarz mitentschieden. Fast zeitgleich, beinahe wie abgesprochen,
wurde ein fragwürdiges Tor der Bremer gegeben und eines der Bayern aberkannt.
Nun, die Bayern können sich beruhigt auf besagten Paragraphen berufen:
Fehlentscheidungen gleichen sich aus und die nächste Meisterschaft kommt
bestimmt.
2001 war es übrigens nicht Dr. Markus Merk, der die Bayern zum Meister machte,
nein, das brachte Mathias Schober fertig, der einen Rückpass unbedrängt aufnahm,
anstatt ihn dem Kaiser in seine Golfervisage zu schießen.
Fußball wird von Menschen gespielt. Menschen machen Fehler und Schiedsrichter
sind ein Teil des Spiels. Das ist mir ein wichtiger Grundgedanke um
Fehlentscheidungen bewerten und anerkennen zu können.
Fußball als Religion
Ich glaube nicht an vieles. Da ich nicht religiös bin, bleibt nicht viel, an
dem ich mich festhalten kann. Ich glaube grundsätzlich nur an zwei Dinge: an das
Gute in der Frau und an Fußball. Auf ersteres näher einzugehen, ist hier nicht
der Ort. Der Fußball hat mich jedenfalls noch nie enttäuscht. Meine Beziehung
zum Fußball ist von einem ausgewogenen Geben und Nehmen gekennzeichnet. Ich
spiele so oft es geht Fußball und gehe so oft es geht ins Stadion. Zugegeben,
ich könnte öfter ins Stadion gehen, aber das Auge isst halt mit. Nachmittage bei
der Hertha sind nun mal viel zu oft verschwendete Nachmittage. Wenn ich die Wahl
habe, Hertha im Stadion oder Bayer im TV, gibt es für mich nur eine
Entscheidung.
Was ich vom Fußball bekomme, ist vielerlei. Er hält mich fit und bringt mir hier
und da ein wenig Anerkennung. An 34 Wochenenden im Jahr kann ich mich darauf
verlassen, meinen Klub mehr oder weniger engagiert um Punkte antreten zu sehen.
Oft genug geben meine Kicker eine jämmerliche Figur ab, weil sie einfach keine
Lust haben. Aber sie sind da. Sie sind Teil meines Alltags. Ich erwarte auch
keine Meisterschaften von meinem Verein, da ich meine Liebe zum Bayer nicht mit
Titeln bemesse. Große Spiele meines Vereins machen mich stolz. Es gibt nichts
schöneres als Real und die Bayern zu demütigen.
Verrat an meinem Glauben
Solange ich mich während eines Spiels schätzungsweise elf mal öfter über
einen meiner Spieler ärgerte als über den Schiri, war für mich die Welt in
Ordnung. Wenn mein Torwart wieder mal den Ball zur Ecke abklatscht statt ihn
festzuhalten, meine komplette Verteidigung in gefährlichen Sekundenschlaf fällt,
mein Mittelfeld mit Quer- und Rückpässen brilliert und der Topstürmer das leere
Tor nicht trifft, dann, ja dann darf der Schiedsrichter auch mal einen Einwurf
falsch pfeifen.
Dieses Prinzip hatte sich für mich bewährt. Und wenn ein Schiedsrichter doch mal
argen Käse zusammenpfiff, hatte ich schnell Rufe parat wie "Der Schiri ist doch
gekauft" oder "Ohne Schiri habt ihr keine Chance". Aber eigentlich wusste ich,
dass der Schiri einfach einen schlechten Tag hatte. Oder vom DFB ins falsche
Stadion geschickt wurde. Oder was weiß ich, aber Manipulation? Undenkbar. War
ich naiv.
Und da hört der Spaß auf. Das nehme ich dem Hoyzer echt übel.
Dass ich in ein Stadion gehe und mir nicht sicher sein kann, dass alles mit
rechten Dingen zugeht.
Ich war noch nie Zeuge eines verschobenen Spiels, jedenfalls nicht in den
höheren Spielklassen. Zumindest nicht bewusst. Wenn der Teufel seine Finger im
Spiel hat, riecht doch die Luft ganz anders, oder? Ich kann mir kaum vorstellen,
wie die Leute beim 4:2-Sieg von Paderborn über den HSV normal atmen konnten.
Ich verstehe Hoyzer nicht. Er ist jung (25) und erfolgreich, ist in festen
Händen. (Jetzt schreibe ich schon im Springer-Stil). Wirkt sogar irnkwie
sympathisch. Hat in hohem Tempo viele Sprossen der Karriereleiter genommen. In
ein paar Jahren hätte er Champions League und große Turniere pfeifen können. Hat
sich aber für die schnelle Mark entschieden. Hat er wirklich gemeint, er würde
damit durchkommen?
Bevor er endgültig die Säge ansetzt, wird Hoyzer noch so manch anderen zu sich
auf den Ast holen, auf dem er sitzt. Das kann noch spannend werden. Wenn sich
herausstellen sollte, dass mein Klub daran beteiligt ist, wäre der Verein für
mich gestorben.