1 Dichter Nebel besucht Kongress der Zahnmedizin
Es war an einem lauen Juniabend eines sonnigen Herbsttages, als meine Kehle nach
Bier dürstete. Moment, verehrte Leserschaft: ’Bier’ passt ja nun gar nicht zur
Romantik besagter Nacht im Advent, finden Sie nicht auch?
Ich schreibe also von Gerstenkaltschale und meine Bier, nur damit wir uns
richtig verstehen.
Der nächste Satz war eigentlich schon auf dem Papier, doch musste ich zum
Leidwesen meiner Katze feststellen, dass er wie schon der vorige mit ’Ich’
beginnt. Falls Sie schon mal einen Roman mit gewissen Ansprüchen an sich selbst
geschrieben haben, werden Sie nachvollziehen können, wie sehr mich das stört.
Nun, hier kommt der Satz:
Ich war im Begriff, die schwere gläserne Eingangstür des Plus-Marktes zu öffnen, als
diese zu meiner Überraschung verschlossen war. Es konnte sich nur um ein
Missverständnis handeln, schließlich war es ja erst 18:58 Uhr, also zwei Minuten
vor Ladenschluss.
Mit dem zehnfachen meines Körpergewichts stemmte ich mich gegen die Ladentür und
wollte nicht einsehen, dass jenes Unternehmen sinnbefreit war. Schnell eilte
eine junge Frau herbei, wo ich dachte, dass sie mir behilflich sein könne.
Sofort sprach ich sie an.
'Die Tür klemmt ein wenig. Wenn Sie so freundlich wären, mir zu...'
'Die Tür ist zu', entgegnete sie ohne mit einer ihrer beiden Wimpern
zu zucken. Der allmorgendliche Zeitaufwand für die Pflege ihrer Wimpern hielt
sich ganz offensichtlich in Grenzen. Eigentlich schade.
'Nein, nein, wenn Sie mir helfen würden – zu zweit können wir’s
schaffen', unternahm ich einen weiteren hoffnungsvollen Versuch, das Herz dieser
Frau, die so anders war als alle anderen Frauen, zu erweichen.
'Wir haben bereits geschlossen', bemerkte sie mit eisigem
Gesichtsausdruck.
'Auch hier irren Sie, meine Dame, es ist zwei vor Sieben. Glauben Sie mir, es
ist nicht geschlossen.'
Es herrschte nun eine Todesstille, wie man sie sonst nur im Wilden Westen
kennt, wenn plötzlich David Bowie einen Saloon betritt. Einige Passanten hatten
sich inzwischen halbkreisförmig aber doch mit respektvollem Abstand aufgestellt
um die ungewöhnliche Szenerie zu betrachten. Es ging jetzt um weit mehr als nur
um einen dämlichen aber nötigen Wochenendeinkauf, weil sich zum Beispiel die
verhasste Schwiegermutter angekündigt hat. Es war mucksmäuschenstill, aber das
schrieb ich ja schon.
Die nette Dame griff in die rechte Tasche ihres langen weißen Kittels, der
gezeichnet war vom harten Arbeitsalltag einer Aushilfskraft der größten
Supermarktkette der Welt, und beförderte ihren
abscheulichsten Ostzonen-Dialekt ans Tageslicht, um mir folgende Worte entgegen zu spucken:
'Nu jehn Se endlich von die Tür weg. Sehn Se nich, dett wir schon zu ham?!'
'Schon gut, Sie... freundliche... Person,' echauffierte ich mich, 'Notiz an
Gehirn: Nie wieder bei Plus einkaufen.'
'Ich wünsche einen recht schönen Abend' kotzte ich der Plus-Frau auf deren
Rodenstocksandalen, die sie letzten Sommer (ich weiß, dass sie das getan hat)
einer obdachlosen behinderten schwarzen Homosexuellen im Schlaf geraubt hatte.
Ein Raunen ging durch die Menge.
Ich schwang mich auf meine Freundin und radelte in die Nacht davon.
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