6 Das 30-Mio-$-Dekret
Ich hab schon wieder mein Mobiltelefon auf dem Klo vergessen. Irgendwann
verpasse ich so noch mal einen wichtigen Anruf. Was ist, wenn mein Vermieter
anruft und mir meine heruntergekommene, hoffnungs- und gottlose Wohnung kündigen
will? Womöglich würden schon die Nachmieter einziehen und ich würds einfach
nicht merken. Denn mein Handy liegt auf dem Pott und klingelt.
Neulich hab ich einen sehr interessanten Bericht in der Zeitung gelesen.
Dabei ging es um den nordfranzösischen Brauch, selbst komplizierteste
Blinddarmoperationen stets mit Messer und Gabel durchzuführen. Führende
Chefärzte wie der kürzlich mit dem Nabel-Preis gewürdigte Doctor Jean-Jacques
Luc würden diese Behandlungsmethode schon seit langer Zeit am
Gesundheitsministerium vorbeischummeln, hieß es in dem Segelmagazin, das ich mir
bei einem auswärtigen Latrinenbesuch aneignete. Seit langer Zeit? Nun ja, seit
Präsident Chirac denken kann, hieß es auf Nachfrage.
Da sitz ich nun auf dem Klo, das Handy klingelt auf dem Nachtisch (Mutter
kochte Erdbeeren der Saison mit reichlich Sahne obendrauf) und zermartere mir
das Hirn, wie ich meinen Schundroman in seriösere Züge würde leiten können, als
mein Blick auf Europas meistverkaufte Segeljournaille fällt. Jetzt hab ich das in
meinem Roman verwurstet und nichts weiter als zwei Abschnitte in einem
unbedeutenden Aufzug sind dabei herausgekommen.
Vielleicht sollten Sie erfahren, wie meine Bestseller zustande kommen.
Ich meine damit nicht den Druck und den Vertrieb durch den Verlag Neue Bellt, an
dieser Stelle sei Olaf Neubrath gegrüßt, nein, ich rede von der Entstehung der
Buchstaben und Worte und Zeilen in meinem Kleinhirn, die Melonen von Menschen
glücklich machen, und das schon seit Generatoren.
Andererseits behalte ich das lieber für mich.
Nur soviel sei verraten: Ich bin nicht vollständig entkleidet.
Statistisch versuchen nun 75% der Leserinnen sich den Autor im Adamsgewand
vorzustellen.
Springen wir nun zurück in den
Gesichtssaal aus Kapitel zwo.
Ich wurde um meine Aussage gebeten und legte los:
Es war ein
saublöder Tag. Ein Tag, wo man schon gar nicht mehr überrascht ist, wenn man in
den nächsten Napf tritt. Es war ein Freitag und jetzt im Nachhinein würde ich
ihn schwarzer Freitag nennen. Aber Börsenmakler bin ich nicht. Doch der Reihe
nach.
An jenem Morgen erwachte ich gegen viertel vor zwölf, hatte sieben
Stunden lang wie ein Bär geschlafen. Der Angeklagte drängte mich zum Aufstehen,
er selbst hatte im Schlafsack und auf Zeitungen genächtigt. Mir brummte mal
wieder der Schädel, ich hatte absolut keine Lust aufzustehen. Dennoch verließen
wir kurz nach eins das Haus und gingen beim Dönermann um die Ecke Döner essen.
Nach dem Dönerverzehr spielten wir noch eine Partie Billard. Ich steckte immer
wieder den Euro in den Schlitz, doch er fiel immer wieder durch. Plötzlich
*rattertatterta* wurden die Kugeln freigegeben und wir konnten loslegen. Den
Euro hatte aber der Angeklagte und nicht der Automat. So weit so gut, so ein
Glück hat man nicht alle Tage. Ich gewann sogar das Spiel, als nur noch die Acht
lag und der Angeklagte sie in meine Tasche spielte. Ich hatte sie so platziert,
dass sie kaum noch aus der Tasche rauszubekommen war und ich sie beim nächsten
Stoß reingemacht hätte. Es schien mein Glückstag zu werden.
Dann auf zum Bahnhof Nöldnerplatz, wir waren noch recht passabel 'in
time'. Ich hatte errechnet, um 15 Uhr 35 in Neuruppin zu sein. Auf dem Weg zum
Bahnhof waren der Angeklagte und ich noch schnell in der Sparkasse um Geld
abzuheben. Ich verlangte 25 EUR, doch der Automat hatte keine Fünfer und ich
ließ mich mit 20 EUR vertrösten.
Eine Lappalie, die mir zum Verhängnis werden sollte.
Es war 14 Uhr 10 auf dem Bahnsteig Nöldnerplatz. Der Fahrkartenautomat
nahm meine 20-EUR-Note nicht.
Der Angeklagte hatte noch das Kleingeld für 1 Ticket nach Neuruppin. Die Bahn
fuhr ein und ich drängte den Angeklagten zum Einsteigen, da die Zeit allmählich
knapper wurde. Er begriff den Ernst der Lage nicht und fingertippte sich erneut
durch das Menü des unsäglichen Fahrkartenautomaten, der mir seine Dienste nicht
erweisen wollte.
Die Bahn war weg. Der Angeklagte löste seinen Fahrschein.
Ich rechnete noch mal alles durch und kam zu dem Schluss, dass wir es
trotzdem pünktlich nach Gesundbrunnen schaffen könnten um die Hennigsdorfer Bahn
zu erreichen. Die nächste Bahn fuhr ein und nahm uns bis Ostkreuz mit.
Auf dem Ringbahnsteig des schönsten Bahnhofs der Hauptstadt angekommen, fuhr soeben
die 42 ein. Wir packten unsere Körper ins Abteil und starteten nach
Gesundbrunnen durch. Waren 'in time'. Ich würde mir schon noch nen Fahrschein
besorgen.
Schon zwischen Frankfurter Allee und Storkower Straße (zur
Veranschaulichung bitte mit der Netzspinne vergleichen) passierte das
Unvermeidbare. Weibliche Person mittleren Alters. Die Fahrausweise bitte. Der
Angeklagte zeigte seinen.
'Und wo ist Ihr Fahrschein?'
'Darf ich das Publikum befragen?'
Aussteigen in Storkower Straße, Aufnahme der Personalien, feierliche
Überreichung eines Überweisungsträgers mit einer Zahlungsaufforderung in Höhe
von EUR 30,00.
Warten auf die nächste Bahn, die laut Kontrolleuse gleich kommen würde.
Denkste. Wir verloren ca. vier Minuten oder mehr.
Mit dem Feststellungsbeleg durfte ich jetzt im ABC-Bereich fahren. Na
bitte.
Wir stiegen in die eingefahrene Bahn ein und ich rechnete noch mal die voraussichtliche Fahrzeit
nach.
Wir könntens noch schaffen!
Meinen Galgenhumor hatte ich nicht eingebüßt, der Angeklagte und ich
blödelten die ganze Zeit rum, wie schon seit der Ankunft des Angeklagten
Donnerstag Abend.
Als wir in Greifswalder Straße einfuhren, schaute ich aus dem Fenster und
musste mit Schrecken feststellen, dass die Fahrtzielanzeiger 'S8 Schönhauser
Allee Kurzzug' schilderten. Gratuliere, wir konnten unmöglich noch 'in time' in
Gesundbrunnen ankommen.
Wir stiegen in Schönhauser Allee aus und warteten auf die 42, die nach
fünf Minuten eintraf. Fuhren nach Gesundbrunnen und warteten 15 Minuten auf die
Hennigsdorfer Bahn. Stiegen ein, blödelten rum. Unterhielten uns über den
Carport, Renés Aquarium, Studiumsfinanzierung, etc. Extra so, dass
es alle mithören konnten. Das machte Spaß. Taten so, als ob der Tag anders
verlaufen wäre.
Zum Glück hat der Fahrkartenautomat doch noch den Zwanziger genommen!
Bei meinem Glück wären wir noch kontrolliert worden!
30 EUR hätte ich jetzt nicht entbehren wollen, wo ich doch gerade die
Wohnung gemietet habe, renovieren muss und das Studium beginnt!
Der Angeklagte und ich stiegen in Hennigsdorf aus und wir hatten Durst.
So gingen wir in ein Kaufhaus am
Bahnhofsvorplatz und kauften uns Durst löschende Getränke. Dann setzten wir uns auf eine Bank,
als plötzlich ein
Typ vorbeikam, der zunächst den Angeklagten anstarrte, dabei 'Iss was?' murmelte
und schließlich (die Augen nach hinten zum Angeklagten gewandt) den Gegenverkehr
anrempelte. Wir
lachten uns halbtot.
Nahe der Sitzbank war ein Stand aufgebaut, der kostenlos unseren
Fettanteil misst. Wir ließen uns vom Standbetreuer belabern und kriegten zu
hören, dass unser beider Fettanteil im Körper zu gering wäre. Der Angeklagte
hatte fünf Prozent Körperfett, ich acht. Ideal sind zehn, normal zwölf.
Wir ließen die Labertasche, die mal Leistungssportler war, stehen und
gingen zum Bahnhof zurück.
Ich wollte mir im DB-Büro die Fahrkarte kaufen, weil es so schön auf dem
Weg liegt. Beim Öffnen der Tür schubste ich fast eine Oma um. Ich entschuldigte mich
sofort, denn ich konnte ja nichts sehen, da die Tür mit Jalousien behangen war. Das Büro war
total voll, am Schalter eine Azubine, das dauerte mir alles zu lange. Also auf dem
Bahnsteig wieder den Automaten bequatschen. Der Angeklagte wartete derweil
auf dem Neuruppiner Bahnsteig, als ich auf den S-Bahnsteig zum Automaten ging. Wir waren
absolut 'in time'. Ich hatte inzwischen eine Nachricht nach Hause geschickt,
mich halb fünf abholen zu lassen.
Ich hatte ja ein Getränk gekauft und daher einen Fünfeuroschein, mit dem
ich den Automaten köderte. 5,70 waren für Hennigsdorf-Neuruppin zu löhnen.
Ich führte den Schein mehrfach oral in den verteufelten Schrank ein, doch
er spuckte ihn mir vor die Füße, dazu blies ihn der Wind zwei Meter davon. Ich
fluchte und trat gegen das rotblaue Monster, sammelte schließlich meine Note wieder auf.
Ich sprach mehrere Passanten nach Kleingeld an. Endlich fand ich eine,
die mir 4,50 gab. Der Rest waren Centmünzen, auf die ich dankend verzichtete.
Ich zog einen Fahrschein.
Rüber zum Bahnsteig, wo der Angeklagte wartete. Ich drohte, den
Fahrkartenautomaten anzuzünden und die Deutsche Bahn AG in die Luft zu sprengen.
Unser Zug fuhr ein, gerammelt voll wie jeden Freitagnachmittag. Warum
zum Teufel werden die
Kapazitäten nicht erhöht? Stehpartie bis Neuruppin. Die Kontrolleuse schickte ein
Pärchen aus der ersten Klasse in die Sardinenbüchse der zweitklassigen
Gesellschaft.
'Saftladen' stöhnte die Frau.
'Willkommen in der zweiten Klasse' grinste ich.
Diesmal hatte ich einen Fahrschein. 'Bitte' sagte die Kontrolleuse, als
sie ihn mir gestempelt zurückgab.
'Nichts zu danken' sagte ich.
Wir kamen vergnügt in Neuruppin an, hatten unterdessen noch ausgiebig
über Fußball diskutiert.
In Kränzlin angekommen, durfte ich erstmal den Rasen mähen und wurde mit
einem Phänomen konfrontiert, dass ich einfach nicht kannte: Ich habe meiner
Mutter nicht richtig zugehört! Ich sollte den Rasen vorm Haus und vor der
Haustür mähen. Nicht den ganzen Rasen! So macht man sich Arbeit.
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