10 Arschlecken 2004
Seinen Frust in Alkohol ersäufen? Ach was,
Kinderkacke.
Sich von einer Brücke in die Tiefe stürzen? Pah. Wo ich bin, ist unten.
Vor eine Straßenbahn laufen? Macht zur Zeit jeder, ist nichts für mich.
Ein zweites Erfurt anrichten? Nein, meine Aggression gehört mir allein. Nicht
der Springer-Presse.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Jemandes Bremsen manipulieren, ein Haus
anzünden, Briefbomben an die Obrigkeit schicken. Alles Vehlefanz.
Ich habe eine andere Methode entdeckt. Eine Methode ganz nach meinem
persönlichen Geschmack. Doch bin ich relativ sicher, dass damit auch vielen
anderen Menschen geholfen werden kann, die nicht die Mittel haben, um ihren ganz
speziellen Hass so schick in Szene zu setzen wie Robert S.
Zur Veranschaulichung meiner sogenannten Methode muss ich ein wenig ausholen.
Kein Grund gelangweilt dreinzuschauen, wir müssen nur zurück in den Sommer
letzten Jahres. In den letzten Sommer. Sozusagen. Nun kommt eine Begebenheit ins
Spiel, die viele von uns schon erlebt haben. Man wird von seiner geliebten
Freundin verlassen. Und die meisten Leute, die wissen, wie das ist, würden das
nicht mal ihrem ärgsten Feind wünschen, vorausgesetzt, sie sind nicht auf die
Freundin des ärgsten Feindes scharf.
Diese Begebenheit zieht einen normalerweise runter. Und das tat sie auch bei
mir. Es ist wie ein zerstörerischer Schlag in die Magengrube, der, als wäre er
nicht schon unangenehm genug, nicht selten aus heiterem Himmel kommt und auf
eine offene Deckung trifft. Ein Schlag voll solcher Brutalität, dass man ihn
nicht so schnell vergessen kann, eben weil er so höllisch schmerzt. Was tut der
gemeine Mensch, wenn er höllischen Schmerzen ausgesetzt ist? Und gemein meint
hier durchschnittlich, denn gemein im Sinne von boshaft (nicht zu verwechseln
mit der zu Recht verschmähten Einzelhaft) ist im vorliegenden Falle sicherlich
nur die einen sitzen lassende Freundin. Experten streiten sich angesichts der
Pikanterie, ob einen sitzen lassende Freundinnen schlimmer sind als einen fahren
lassende Freundinnen. Ich für meinen Teil habe in dieser Sache eine klare
Position.
Doch zurück zum Thema. Wir verharrten bei der Frage, was der durchschnittliche
Mensch so tut, wenn er höllischen Schmerzen ausgesetzt ist. Genau, er wird
seinen Arzt oder seine Apotheke konsultieren und sich ein Schmerzmittel geben
lassen. So weit so gut, sprach Ruth. Dafür werden jetzt aber zehn Euro fällig,
gell? Mindestens, so oder so.
Wir nähern uns langsam aber sicher dem Clou dieser Kurzgeschichte.
Es ist völlig klar, dass ich noch viel schwerere Schicksalsschläge in meinem
Leben werde einstecken müssen. Aber an meinem bisher bescheidenen Horizont wirkt
der Verlust meiner Freundin besonders düster.
Wie komme ich also damit klar? Die meisten der zu Anfang aufgezählten Sachen
habe ich nicht mal ausprobiert, weil ich sie albern finde. Die Quintessenz heißt
jedoch Ablenkung. Sie erinnern sich an den vorhin erwähnten zerstörerischen
Schlag in die Magengrube, der auf dem ersten Blick nur als Metapher diente?
Nehmen Sie's doch wörtlich! Sie müssen dazu nicht Ihren Nachbarn provozieren,
nein, das kriegen Sie auch hin, ohne Ihren sowieso kümmerlichen
gesellschaftlichen Status zu riskieren. Man kann das trainieren! Schlagen Sie
sich selbst! Es muss nicht gleich die Magengrube sein, fürs Erste tun es auch
die Oberschenkel. Ballen Sie die Faust Ihrer starken Hand und trauen Sie sich
Ihnen selbst weh zu tun. Scheuen Sie nicht davor, Ihren Schmerz zu artikulieren!
Schreien Sie laut auf und lassen Sie Ihre Nachbarn denken, Sie würden Opfer
einer polizeilichen Hausdurchsuchung. Es liegt bei Ihnen, ob Sie Ihren Arzt oder
Apotheker mit Ihren blauen Flecken belasten wollen. Ich hab das jedenfalls nicht
nötig, denn seit einigen Saisons genieße ich Superhelden-Status.
Ich würde nie so weit gehen, mich selbst zu verstümmeln, da ich meinen
Luxuskörper viel zu sehr liebe. Dennoch sind der Kreativität keine Grenzen
gesetzt, schon gar nicht meiner verwirrten selbigen. Schon lange stecke ich
meine Finger nicht mehr in Steckdosen, da rührt sich bei mir nichts. Deshalb bin
ich ständig auf der Suche nach neuen Kicks, wie z.B. Branding, dem neuesten
Schrei aus den Staaten. Hierzu lässt man sich auf seinem mobilen Telefon
und/oder Festnetzanschluss anrufen und geht Achtung! nicht ans Telefon sondern
ans Bügeleisen. Ein Satz heiße Ohren hat eben noch niemandem geschadet.
Meine damalige Freundin heuchelte noch eine Weile von guter Freundschaft, bis
sie jemand anders gefunden hatte, der seinen Dödel regelmäßig in sie steckt.
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